Gratis-ÖPNV in Ingelheim – positives Zwischenfazit

Bild: Stadt Ingelheim am Rhein

Attraktiver öffentlicher Nahverkehr gilt als Schlüssel zu einer umfassenden Verkehrswende. In Ingelheim am Rhein können öffentliche Verkehrsmittel in den Abendstunden und an Wochenenden seit zweieinhalb Jahren kostenlos genutzt werden. Zeit für eine Zwischenbilanz – für Ingelheim und die Verkehrswende.

Bislang hat der Verkehrssektor bundesweit kaum zum Klimaschutz beigetragen, obwohl PKWs gegenüber den 90er Jahren deutlich effizienter und vermehrt elektrisch fahren. Ursache für den fehlenden Beitrag zum Klimaschutz ist neben dem Lastverkehr, dass heute mit den Fahrzeugen deutlich mehr Kilometer zurückgelegt und mehr SUVs gefahren werden. Auch der Kraftfahrzeugbestand in Deutschland nimmt seitdem kontinuierlich zu.

In derselben Zeitspanne hat der Anteil der öffentlichen Verkehrsmittel an der Verkehrsleistung leicht nachgelassen. Deshalb wird eine Verlagerung des Verkehrs auf Busse und Bahnen als wichtiger Lösungsansatz angesehen. Lösungen sind erforderlich, da das Bundes-Klimaschutzgesetz die klimaerhitzenden Emissionen des Verkehrs innerhalb der kommenden sechs Jahre gegenüber 1990 halbieren will.

Gratisfahrten statt Leerfahrten

Ausgangspunkt für den Gratis-ÖPNV in Ingelheim war eine geringe Auslastung der Busse an Wochenenden und in den Abendstunden. Mit ihrem Amtsantritt als Dezernentin der Stadtverwaltung Ingelheim im Jahr 2019 lag Dr. Christiane Döll bereits der Lösungsvorschlag eines Marketing-Büros vor. Dieser sah befristete verbilligte Locktickets vor,  die über die Touristen-Information erhältlich sein würden.

Döll suchte eine einfachere Lösung: „Da ohnehin Kosten für das Fahrpersonal und Diesel bzw. Strom anfallen, lag es auf der Hand, das Busfahren in den unausgelasteten Zeiten kostenlos zu machen und so neue Zielgruppen zu erschließen“, so Dr. Döll. „Herausfordernd war die Erfassung der Gratisfahrten mit den beteiligten Verkehrsunternehmen. In Ingelheim fahren Stadtbusse und überregionale Busse. Zudem gibt es drei Bahnhalte und am Bahnhof Ingelheim drei verschiedene Fahrkartenautomaten.”

Um die Gratisfahrten innerhalb einer komplexen Tarifstruktur erfassen zu können, wurde zusammen mit dem Rhein-Nahe Nahverkehrsverbund (RNN) eine App für die kostenlosen Fahrten eingeführt. Wer mangels Smartphone keine App nutzen will oder kann, hat in Ingelheim die Möglichkeit, die Kostenerstattung über ein einfaches Formular bei der Stadt anzufordern. Ein Zusatznutzen: In den kostenpflichtigen Zeiten kann die App ebenfalls verwendet werden.

Gebuchte Fahrten haben sich verdoppelt

Alleine die Vereinfachung des Ticketkaufs habe die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Ingelheim bereits attraktiver gemacht. Bestätigung findet diese Einschätzung in einer Metastudie des Umweltbundesamtes (UBA). Dieser Studie zufolge werden durch Tarifgebiet übergreifende Apps insbesondere unerfahrene Nutzerinnen und Nutzer zur Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrs bewegt.

Über diese App lassen sich die Ticketverkäufe und die Gratis-Fahrten präzise erfassen. In den letzten beiden Jahren haben sich die über die App gebuchten Fahrten im Monatsdurchschnitt grob verdoppelt. Die Vergleichbarkeit dieser Zahlen ist jedoch eingeschränkt, da sich die Fahrgastzahlen während der Corona-Pandemie und dem drei Monate existenten Neun-Euro-Ticket ungewöhnlich entwickelt hatten.

In Ingelheim am Rhein werden die Gratisfahrten am häufigsten während des traditionellen Rotweinfestes und anlässlich des Weihnachtsmarktes genutzt. Laut der Forschung des Umweltbundesamt gibt es weltweit etwa 100 Gratis-ÖPNV-Angebote, die zu einer verstärkten Nutzung des ÖPNV geführt haben sollen. Die Verlagerung weg vom Autoverkehr trete jedoch laut der UBA-Metastudie nur in einem geringen Maße ein.

Subventionen im gesamten Verkehrssektor

Der Verkehrssektor wird an vielen Stellen subventioniert: So gibt es steuerliche Erleichterungen für Diesel, Pendler oder Dienstwagen und verschiedene Zuschüsse für ÖPNV-Betriebe, die durchschnittlich lediglich 41,5 Prozent der Kosten durch Fahrgeldeinnahmen decken können.

In Ingelheim lagen die einmaligen Entwicklungskosten der App bei etwa 60.000 Euro. Die laufenden Kosten für den Gratis-ÖPNV betragen jährlich etwa 50.000 Euro, wovon die Hälfte der Ticketerstattung dient. Darüber hinaus werden Kosten für den technischen Betrieb und für Buswerbung aufgewendet. Die Ticketerstattung lässt sich teilweise intern mit den ohnehin für niedrig ausgelastete Busfahrten entstehenden Kosten verrechnen.

Bundesweit sind im ÖPNV die Tarif- und Betreiber-Strukturen komplex und vielfältig. Die Einführung einer App zur Vereinfachung der Ticketkäufe sei überall sinnvoll. „Gäbe es das Deutschlandticket nicht, wäre der Druck auf Verkehrsverbünde und ihre kommunalen Aufgabenträger, auf digitalisierte Angebote zu setzen, noch viel höher”, erklärt Döll.

Gratisfahrten ändern das Image

Laut Umweltbundesamt wirken Gratis-Tickets dem Image entgegen, dass Busse und Bahnen teuer sind. Zeiten mit geringem Fahrgastaufkommen gibt es vielerorts. Statt das Verkehrsangebot in solchen Zeiten mangels Auslastung zu verschlechtern, stärkt die Einführung von gezielten Gratis-Angeboten die Attraktivität des ÖPNV.

Das Zwischenfazit aus Ingelheim fällt positiv aus: „Die Gratis-Fahrten wirken auf vielen Ebenen: unsere Busse werden besser ausgelastet, die Feste können unbeschwert genossen werden und unsere Bürgerinnen und Bürger haben das Gefühl, dass sie etwas zurückbekommen”, sagt Döll.

Ein weiteres kostenloses ÖPNV-Angebot macht seit Juli 2024 die Stadt Mainz. Für ein Jahr lang ist das Bus- und Bahnfahren an jedem ersten Samstag kostenlos.

Weitere Informationen zum Gratis-ÖPNV in Ingelheim unter www.e-ticket-ingelheim.de sowie bei Dr. Christiane Döll, Dezernentin der Stadt Ingelheim unter der 06132 782-168 oder per E-Mail christiane.doell@ingelheim.de.