„Es sind die Phantasten, die die Welt in Atem halten, nicht die Erbsenzähler“- So beschreibt Bürgermeister Axel Wassyl die Philosophie, mit der die VG Offenbach an der Queich die Energie- und Wärmewende seit mittlerweile zwei Jahrzenten erfolgreich gestaltet.
Welche Vorhaben sie bereits umsetzen konnten und wie die Verbandsgemeinde diese angegangen ist, wurde auf der Fachtagung „Nahwärme - Konkret“ der Energieagentur Rheinland-Pfalz am 10. April 2024 vor Ort vorgestellt. In anschließenden Fachvorträgen gingen Experten auf die Themen Potential und Möglichkeiten, Contracting sowie Förderung oberflächennaher Geothermie im Bestand und im Neubau ein.
Wärmewende muss an Tempo zulegen
Die CO2-Emissionen in Rheinland-Pfalz gehen seit 1990 kontinuierlich zurück. Auch die Zahl der Öl- und Gasheizungen ist gesunken. Jedoch wird der Endenergiebedarf immer noch zu zwei Dritteln über fossile Energieträger gedeckt und 75 Prozent aller Heizungssysteme nutzen Gas oder Öl. „Die Richtung stimmt, aber das Tempo für die nächsten sechs Jahre könnte und muss schneller werden“, stellte Paul Ngahan, Leiter des Referats Nahwärme der Energieagentur Rheinland-Pfalz fest. Durch die BEW-Förderung, das GEG und die kommunale Wärmeplanung hätten die Bundesregierung und die Bundesländer Rahmenbedingungen für das Gelingen der Wärmewende geschaffen; nun brauche es Projekte, die zügig in die Umsetzung kommen.
Stetige Realisierung neuer nachhaltiger Projekte in Offenbach an der Queich
In der Verbandsgemeinde Offenbach an der Queich wurden bereits mehrere Projekte zur nachhaltigen Wärmeversorgung umgesetzt. Das Freibad wird über Solarabsorber und Solarthermie beheizt, die Wärmeversorgung des Neubaus des Rathauses gelingt über den kombinierten Einsatz von PV, PVT und Wärmepumpe. Im Jahr 2020 konnten vom Rathaus ausgehend erste Rohre für ein kaltes Nahwärmenetz Richtung KiTa und der Energiezentrale des Freibads gelegt werden. Es folgte der Anschluss weiterer Liegenschaften und privater Wohnhäuser im Mühlweg. Dazu waren zwei weitere Wärmebrunnen und zusätzliche Wärmepumpen notwendig. Die große Herausforderung dieses Netzes war die Kombination der verschiedenen Wärmequellen. Die Vision von Axel Wassyl ist nun die kalte Nahwärme für den gesamten Ort.
Zeitnah rechtliche Vereinfachungen bei oberflächennaher Geothermie
Auf die Eckdaten und rechtlichen Rahmenbedingungen der Geothermie ging Andreas Tschauder vom Landesamt für Geologie und Bergbau ein. Er wies auf den Leitfaden zur Nutzung von oberflächennaher Geothermie hin, betonte gleichzeitig, dass Bohrungen bis 400 Meter Tiefe voraussichtlich ab Sommer 2024 deutlich einfacher und schneller möglich seien, da kein bergbaurechtliches Genehmigungsverfahren mehr notwendig sein wird.
Kalte Netze auch im Bestand möglich
Prof. Thomas Giel hob in seinem Vortrag das große Potential von oberflächennaher Geothermie im Bestand hervor, indem er das passive, kalte Nahwärmenetz von Rech vorstellte. In Betrieb genommen wurde das Netz im Frühjahr 2024 zunächst mit 53 Anschlüssen. Bis 2035 soll es auf rund 150 Haushalte erweitert werden. Die Einsparung an CO2 umfasse dann geschätzte 1.000 Tonnen pro Jahr. Gleichzeitig betonte er auch den vergleichsweise niedrigen Wartungsaufwand des kalten Netzes. Dass Nahwärme auch bei einem sehr dichten Hausbestand realisiert werden kann, bewies er eindrücklich anhand der kalten Nahwärme in der Humboldtstraße in Bremen. Seinen Vortrag schloss Giel mit einem Slogan der Denkwerkstatt: „Alles, was du dir vorstellen kannst, solltest du versuchen.“
Am Beispiel eines Neubaugebiets in Gensingen stellte Matthias Freund, technischer Leiter der EnergieDienstleistungsGesellschaft Rheinhessen-Nahe, eine mögliche Form der Abrechnung einer Nahwärmeversorgung für den Endverbraucher vor. Die kalte Nahwärme wird dort mittels Flatrate-Modell zur Verfügung gestellt. Unabhängig vom Verbrauch wird eine monatliche Pauschale berechnet, die auf der Leistung der im jeweiligen Gebäude angeschlossenen Wärmepumpe basiert. Der notwendige Stromliefervertrag kann mit einem beliebigen Stromanbieter abgeschlossen werden. Sinnvoll sei natürlich die gleichzeitige Nutzung von PV. Die Versorgung über kalte Nahwärme ist im Vergleich der Wärmegestehungskosten (Heizkostenspiegel) in vielen Projekten rentabel. Neben den rationalen Fakten muss auch immer die emotionale Komponente eines Nahwärmeprojekts mitbedacht werden, betonte Matthias Freund. Nahwärme ist ein Gemeinschaftsprojekt mit hoher Komplexität und relativ neuer, ungewohnter Technik. Dies, zusammen mit den immer wieder auftauchenden Fragen eines Anschluss- und Nutzungszwangs, kann zur Berührungsangst bei potenziellen Endverbrauchern führen.
Die Wirtschaftlichkeit eines Nahwärmenetzes ist sowohl für die Kommune als auch die Bürgerinnen und Bürger ein großes Entscheidungskriterium. Dr. Harald Schäffler, Geschäftsführer des Ingenieurbüros Sinnogy GmbH, präsentierte daher die Finanzierungsunterstützung durch Beantragung der BEW. Je nach Vorarbeiten, Zielen und Zeitrahmen gebe es vier verschiedene Einstiege in die BEW.
Wärmenetze: (k)ein Thema für Neubaugebiete?
Ein Punkt, der immer wieder zur Diskussion steht, ist, ob ein Wärmenetz eher in einem Neubaugebiet oder im Bestand realisiert werden kann bzw. sollte. Auch im Rahmen der Fachtagung „Nahwärme -Konkret“ mussten sich die Experten dieser Frage stellen. Besonders die Versorgung des Gebäudebestands (Ausbaunetze) ist ein sinnvoller Einsatz von kalter Nahwärme und erzielt hohe CO2-Emissionsminderungen. Jedoch benötige es oft einen Impuls durch ein Neubaugebiet, damit sich der Bestand an einen Anschluss wagt, so Prof. Giel. Daher müsse man diesen Fakt bei der Planung des Neubaugebiets immer mitbedenken, selbst wenn Luft-Wärmepumpen in Neubaugebieten eine einfachere Lösung sein könnten. Dr. Schäffler betonte hingegen, dass die vorhandenen Ressourcen für die Transformation des Gebäudebestandes genutzt werden sollten.
Kurzinfo:
Fachtagung „Nahwärme - Konkret“ – Kalte Nahwärme für die Stadt Offenbach an der Queich
Datum: 10. April 2024
Kooperationspartner: Kommunale Spitzenverbände und Verband Kommunaler Unternehmen
Teilnehmer: ca. 80
Referenten:
Paul Ngahan, Energieagentur Rheinland-Pfalz
Axel Wassyl, Verbandsgemeinde Offenbach an der Queich
Andreas Tschauder, Landesamt für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz
Prof. Thomas Giel, Hochschule Mainz
Matthias Freund, EnergieDienstleistungsGesellschaft Reinhessen-Nahe
Dr. Harald Schäffler, Sinnogy GmbH